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Irina Liebmann erhält den Uwe-Johnson-Preis 2020

Die Jury begründet ihre Entscheidung für Irina Liebmann folgendermaßen:

»Gedächtnis und Erinnerung sind zentrale Achsen im Gesamtwerk von Irina Liebmann, in dem es nach Reportagen und Hörspielen mit "Berliner Mietshaus" (1982) ein vielbeachtetes Prosadebüt gab. Von Beginn an ging es ihr darum zu erzählen, "wie etwas wirklich ist". Damit waren schon früh Koordinaten für eine Poetologie gelegt, die Bezüge zu der von Uwe Johnson haben. Es geht nämlich immer auch darum, "Herkunft, kenntlich zu machen" und "in Kenntnis (zu) leben". Dazu hat Irina Liebemann sich immer wieder auf eine akribische Spurensuche begeben. Für den Roman "In Berlin" hatte sie einen Erzählton gefunden, der es möglich machte, die inneren und äußeren Bewegungen vor und nach 1989 zusammenzubinden. Nun schließt sich der Kreis dieses einzigartigen Schreibprojekts mit dem Roman "Die Grosse Hamburger Strasse". Irina Liebmann hat in diesem Text ein Prosa-Netz entworfen, in dem unterschiedliche Zeitebenen kunstvoll miteinander in Verbindung gebracht werden, die Spanne reicht vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Über Adressbuchauszüge, Straßenpläne, eigene Tagebuchnotizen, Protokolle, Traumsequenzen, Reime, Metaphern werden Töne in Moll und Dur angeschlagen und Zeit-Schwingungen erzeugt, die Vergangenes und Gegenwärtiges verbinden. Entstanden ist ein Roman in Bildern, und mitunter ähnelt die Sprache einem Prosagedicht. Die Leser, die durch Anreden direkt einbezogen sind, stehen wie die Autorin vor der Frage: "Wie kam das? Was war denn der Weg bis hierher?" Gemeint sind die Schicksale jener, die in der "Grossen Hamburger" gelebt haben und die wie etwa die jüdischen Bürger, "Berliner wie wir", ab 1942 in die Todeslager deportiert wurden. Behutsam und wie eine Archäologin trägt Irina Liebmann Zeitschichten ab, und sie lässt dabei auch jene zu Wort kommen, die sich heute noch erinnern wollen. Jahrzehnte liegen dazwischen. Im Heute erinnert eine nunmehr alte Frau an das Traumatische der Vergangenheit, das "Herzeleid" und betont, was gegen die Angst geholfen hat: "Lesen. Nur Lesen." Irina Liebmann ist das Gegenteil einer planlos umherschweifenden Flaneurin. Sie hat sich – angefangen mit Notizen für ein Romanprojekt aus den frühen 1980er Jahren – dem Stoff immer wieder genähert, und sie ist dafür zurückgekehrt in diese Straße. Sie weiß daher um die Schrecknisse der Vergangenheit und um die Geschichten von Hoffnung und Verrat. Aber es reicht das Anschlagen einer Taste, wie auf einem Klavier, um Denk-Räume zum Klingen zu bringen: Der Berliner Verlag, "`Gavroche` von Victor Hugo", "`Feuertaufe` von diesem Gaidar", Hitler, die deutschen Juden, "Mephisto in Moskau"! Irina Liebmann hat lange nach einem Weg gesucht, um das Material zu einer Geschichte zu formen. Und vielleicht war es letztlich so, wie bei Uwe Johnson: "Die Geschichte sucht, sie macht sich ihre Form selber".«

Der Jury gehören an: Carsten Gansel, Professor für Neuere deutsche Literatur und Literatur- und Mediendidaktik an der Universität Gießen (Sprecher); Gundula Engelhard, Geschäftsführerin der Mecklenburgischen Literaturgesellschaft; Michael Hametner, ehemals leitender Literaturredakteur und Moderator bei MDR FIGARO; Thomas Hummitzsch, freier Kritiker; René Strien, ehemaliger Geschäftsführer des Aufbau Verlages und seit 2018 Geschäftsführer des OKAPI Verlages Berlin; und Almut Thölking-Baulig, Leiterin der Kulturredaktion im NDR Landesfunkhaus Mecklenburg-Vorpommern.

Für den mit 20.000 Euro dotierten Uwe-Johnson-Preis konnten Autorinnen und Autoren oder deren Verlage bis zum 13. März 2020 unveröffentlichte sowie seit April 2018 veröffentlichte Arbeiten aus den Bereichen Prosa und Essayistik einreichen. Der Uwe-Johnson-Preis würdigt deutschsprachige Autorinnen und Autoren, in deren Schaffen sich Bezugspunkte zu Johnsons Poetik finden und die heute mit ihren Texten ebenso unbestechlich und jenseits der »einfachen Wahrheiten« deutsche Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft reflektieren.

Der Uwe-Johnson-Preis wird von der Mecklenburgischen Literaturgesellschaft e.V. gemeinsam mit dem der Kanzlei Gentz und Partner mbB, Berlin und dem Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg im jährlichen Wechsel mit dem Uwe-Johnson-Förderpreis vergeben. Der mit 5.000 Euro Preisgeld ausgelobte Uwe-Johnson-Förderpreis würdigt herausragende Debütromane. 2019 wurde Kenah Cusanit für ihren Roman »Babel« ausgezeichnet.

Weitere Informationen finden Sie unter www.uwe-johnson-preis.de.

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Stefanie Krentz
Bereichsleitung Engagement & Kultur / Vorstand Humanismus Stiftung Berlin
Mecklenburgischen Literaturgesellschaft e.V.
Ringstraße 21
17033 Neubrandenburg

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