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  • Konstantin Börner

Impressionen vom Gedenken an Agnes Wabnitz

Rede von David Driese, Vorstand im HVD BB

Liebe Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste,

wie wir soeben eindrucksvoll von Christian Hoßbach und Ulrike Rosensky hören konnten war Agnes Wabnitz eine der mutigsten Kämpferinnen für die Rechte von Frauen und besonders von Arbeiter_innen. Beides sind sogenannte Kämpfe, wie sie auch heute noch von Organisationen und Engagierten geführt werden.

Aber sie war zugleich auch eine Frau, die sich gegen den Ungeist einer bigotten Religion, gegen das "Paffentum" wandte, gegen die "unsittlichen Fragen" in den Beichtstühlen", die den Mädchen vorgelegt wurden, kurzum, gegen alle Formen religiöser "Heuchelei", wie es Roswitha Schieb in einem beeindruckenden Beitrag vom März letzten Jahres für das "Deutsche Kulturforum östliches Europa" formulierte. Wie aus den gut dokumentierten Spitzelberichten der Polizei bestens bekannt ist, war Agnes Wabnitz vor allem von ihrem großen gedanklichen Lehrmeister, dem Philosophen und Religionskritiker Ludwig Feuerbach inspiriert.

Viermal war sie im Gefängnis, insgesamt elf Monate lang. Zur Last gelegt wurde ihr die Beleidigung von "Majestät und Kirche". Denn sie hatte nicht zuletzt darauf hingewiesen, dass "die christliche Kirche die unehelichen Kinder verstoße, aber dennoch die Lehre aufstelle, daß Christus außer der Ehe geboren sei." Folgerichtig hatte sie auf dem Formular zu ihrer Gerichtsverhandlung unter der Rubrik "Konfession: Dissidentin" angegeben. Das war damals der gängige – und von den Herrschenden meist abschätzig gemeinte – Begriff für jene Menschen, die sich keiner Kirche oder Religion zugehörig fühlten.

Und das war schließlich auch der Grund, warum sie sich in der Freireligiösen Gemeinde organisierte. Diese gehörte damals überhaupt zu den wenigen Organisationen, in die Frauen eintreten und in denen sie gleichberechtigt agieren konnten. Dazu muss man wissen, dass die Freireligiöse Bewegung seit ihrer Entstehung im Rahmen des Vormärz bzw. der 1848er Revolution zwei Richtungen kannte – zum einen diejenige, die sich frei in der Religion fühlte und zum anderen jene Strömung, die sich frei von der Religion definierte. Letztere war vor allem in Berlin dominant. Deshalb gehörten ihr gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch eine so bekannte atheistische Persönlichkeit wie Wilhelm Liebknecht an, einer der Gründungsväter der Sozialdemokratie.

In diesem Zusammenhang sei schließlich auch erwähnt, dass im Schoße vor allem dieser zweiten freireligiösen Strömung zu jener Zeit zugleich die Keimzellen der Jugendweihen und des Lebenskundeunterrichtes entstanden – beides Angebote, die heute in moderner Form wichtiger Bestandteil des humanistischen Wirkens sind. 

Dieses kulturelle und geistige Erbe ist für uns von besonderer Bedeutung. Denn das, was damals ein hohes Risiko für den eigenen Status, den Beruf oder gar für das Leben war, ist heute insbesondere in Berlin und Brandenburg überwiegend Normalität. Heute wäre Agnes Wabnitz mit Ihrem freireligiösen Handeln eine von vielen. Einige sagen gar, Humanismus ist heutzutage Mainstream.

Wurde doch der Majestätsbeleidigungparagraph unlängst durch die Causa Böhmermann aus den Strafgesetzbuch gestrichen. Der sogenannte Blasphemieparagraph ist zwar noch vorhanden, findet jedoch keinerlei Anwendung mehr.

Mehr noch könnte man sagen, dass sich viele daran versuchen, eine Anwendung zu provozieren, bisweilen jedoch erfolglos. Der Weg hier her war jedoch für viele Menschen nicht folgenlos, auch nicht für die Organisationen in den sie sich organisierten. Nachdem es die Freigeistigen/Freidenkerischen Verbände – wie auch unsere Vorgängerorganisation in der Weimarer Republik, dem Deutschen-Freidenker-Verband, zu über einer halben Million Mitgliedern brachte und große politische Erfolge feierte, kam nach der Zerschlagung und Verfolgung durch die Nationalsozialisten eine stark kirchenorientierte Bundesrepublik und eine DDR, welche die Freidenkerischen Rituale, wie die Jugendweihe politisch auflud. Wenngleich wir mittlerweile als Freigeistige und Humanistische Organisationen wieder zu einer sicher beachtlichen Größe gefunden haben, ist es unsere Verpflichtung jenen zu gedenken, die es möglich machten, dass wir heute von Normalität reden, mit Blick auf religionsfreie Menschen. Nur weil heute vieles scheinbar Normalität ist, darf es nicht zum Vergessen führen.

Agnes Wabnitz darf man aus mehreren Gründen nicht vergessen. Sie verkörperte wie kaum eine andere Frau der damaligen Zeit diese unglaublich mutige Kombination aus Frauenrechtlerin, Kämpferin für die Rechte der Arbeiterinnen und Verfechterin einer ehrlichen, und das war für sie eine weltlich-orientierte Humanität. Deshalb gehört gerade sie bei uns im Humanistischen Verband zu den großen Vorbildern.

Sie war zu ihrer Zeit in der Bevölkerung äußerst bekannt und populär. Zeitzeug_innen berichteten, dass zu ihrer Bestattung auf dem Friedhof der Freireligiösen Gemeinde im Prenzlauer Berg mehr Menschen zugegen waren, als beim Begräbnis Kaiser Wilhelms I., sechs Jahre zuvor. Dass sie dennoch lange Zeit so sehr in Vergessenheit geraten war, lag wohl auch daran, dass sie als sog. "Agitatorin", im Unterschied etwa zu Rosa Luxemburg, keine Theoretikerin war und keinerlei Schriftliches hinterlassen hat. Umso bedeutender ist es, dass wir heute gemeinsam mit den Frauen der Pankower SPD und dem Deutschen Gewerkschaftsbund Berlin-Brandenburg diese Gedenkveranstaltung zum 180. Geburtstag dieser mutigen Frau abhalten.

Ich danke allen Akteur_innen, die diese heutige Gedenkveranstaltung möglich gemacht haben. Besonders hervorzuheben sind hier der Trägerverein des Friedhofs der Märzgefallenen, dem Paul Singer Verein, wo wir heute sein dürfen.

Vielen Dank!

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Dominik Drießen
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