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  • Nach der CSD-­Premiere 2017 ­haben die ­queer*humans 2018 eine große ­Schippe ­draufgelegt: ­Doppeldeckerbus statt Lastenfahrrad, 100 ­Humanist_innen statt 30.
    Foto: Konstantin BörnerNach der CSD-­Premiere 2017 ­haben die ­queer*humans 2018 eine große ­Schippe ­draufgelegt: ­Doppeldeckerbus statt Lastenfahrrad, 100 ­Humanist_innen statt 30.

Nicht Heterosexualität, sondern Vielfalt ist normal

Regenbogenfahnen mit dem Logo unseres Verbandes waren im Juli 2017 überall zu sehen – im Netz, in Zeitungen und auf Fernsehbildschirmen. Sie wehten an einem bunt geschmückten Lastenfahrrad – an der Spitze des Demonstrationszuges beim Christopher Street Day (CSD) in Berlin. Die erste CSD-Teilnahme seit mehr als 20 Jahren verdanken wir dem Arbeitskreis queer*human, in dem sich unter anderem Serkan Michael Wels und Amelie von Leliwa für LGBTTIQ*-Themen stark machen.

LGBTTIQ* – das steht für lesbisch, schwul (gay), bisexuell, transgender, transident, intersexuell, queer sowie für alle weiteren sexuellen Identitäten. Kurz gesagt: für sexuelle Vielfalt.

"Zur Vielfalt gehören alle dazu", betont Amelie von Leliwa. Und so engagieren sich auch heterosexuelle Mitarbeiter_innen im Arbeitskreis queer*human. "Ich weiß, daß meine Chefin hetero lebt und gleichzeitig ein stolzes Mitglied unseres Arbeitskreises ist. Das finde ich toll", erzählt Serkan Michael Wels, der als Erzieher in einer Humanistischen Kindertagesstätte arbeitet. Gerade die Akzeptanz der hetero-normativen Gesellschaft sei schließlich wichtig. "Wir haben jetzt aber keinen Sexualitätscheck gemacht", sagt Amelie von Leliwa vom Betreuungsverein Pankow. "Darum geht es ja auch, dass die sexuelle Orientierung egal sein sollte. Es geht um Vielfalt – nicht darum, dass wir homosexuell sind."

Zum ersten Treffen des abteilungsübergreifenden Arbeitskreises hatten die Initiatoren, neben Serkan Michael Wels ist das Jürgen Mundl, stellvertretender Abteilungsleiter der Humanistischen Kindertagesstätten, Ende 2016 per Rundmail eingeladen. "Ich habe immer gesagt, es darf nie nach einem Zwangsouting aussehen. Die Einladung muss so locker wie möglich formuliert sein, so dass auch heterosexuelle Mitarbeiter_innen sagen: ‚Hey, das ist mein Thema, da möchte ich gern mitmachen‘", sagt Wels. Die Resonanz war groß. "Es hat mich schon überrascht, dass so viele gekommen sind. Wir haben wohl einen Nerv getroffen", meint der 36-Jährige. "Viele wollten auch nur mal gucken", ergänzt von Leliwa.

Inzwischen besteht der feste Kern aus fünf bis sieben Kolleg_innen, die sich alle sechs Wochen treffen. Sie wollen in den Verband hineinwirken und ihn nach außen bekannter machen. Zum Beispiel, indem sie sich am CSD beteiligen. Die Teilnahme an der Demonstration für die Rechte der Regenbogen-Community sowie gegen Diskriminierung und Ausgrenzung war das erste große Projekt des Arbeitskreises. Die Mitglieder ließen Postkarten als Werbung für ihr Vorhaben drucken und drückten sie vier Wochen vorher, beim Straßenfest zum Welthumanistentag, allen Interessierten in die Hand. Zum CSD selbst kamen schließlich rund 30 Humanist_innen, die meisten von ihnen Mitglieder des Jugendverbandes, und schwenkten die Verbandsfahne. Für jede_n gab es noch ein bisschen Glitzer ins Gesicht, "und dann sind wir losgezogen", erzählt von Leliwa.

Nach der Premiere 2017 haben die queer*humans 2018 eine große Schippe draufgelegt: Doppeldeckerbus statt Lastenfahrrad, 100 Humanist_innen statt 30. Der Arbeitskreis hat ein eigenes Budget bekommen, um Aktionen wie die CSD-Teilnahme ernsthaft anzugehen. "So können wir wirklich Sachen planen", freut sich Serkan Michael Wels.

Auch wenn die erste CSD-Teilnahme eher eine Low-Budget-Produktion war: Auf das geschmückte Lastenfahrrad – "Niedlich sah das aus", erinnert sich Amelie von Leliwa –, das einen Platz gleich hinter den ersten Wagen des Demonstrationszuges ergattern konnte, waren die Mitglieder des Arbeitskreises stolz. "Ich hatte schon ein paar Gänsehautmomente", erinnert sich Wels. Amelie von Leliwa fügt hinzu: "Ich fand es auch sehr schön, die Fotos anzugucken, die dort entstanden sind. Zu sehen: Da waren wir seit ewig vielen Jahren zum ersten Mal!"

"Die sexuelle Orientierung sollte egal sein. Es geht um Vielfalt – nicht darum, dass wir homosexuell sind", sagt Amelie von Leliwa, Mitglied der queer*humans
Foto: Sabrina Banze "Die sexuelle Orientierung sollte egal sein. Es geht um Vielfalt – nicht darum, dass wir homosexuell sind", sagt Amelie von Leliwa, Mitglied der queer*humans

"So etwas vorzubereiten ist schon eine Menge Arbeit, auch wenn wir uns nur alle sechs Wochen sehen. Wir haben ja alle unseren Job. Und Familien und Freunde, die wir auch noch treffen wollen", betont Serkan Michael Wels. "Aber ich war echt stolz wie Bolle und bin es immer, wenn ich den Verband irgendwo repräsentieren kann – nicht nur beim CSD." Auch bei anderen Veranstaltungen sind die queeren Humanist_innen vertreten, zum Beispiel beim Familienfest des Regenbogenfamilienzentrums oder bei diversen Veranstaltungen, zu denen der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg e.V. (LSVD) einlädt.

Mit dem LSVD steht der Arbeitskreis regelmäßig in Kontakt. Viel Vernetzung außerhalb des eigenen Verbandes gibt es darüber hinaus bislang aber nicht. Noch: "Diverse Bündnispartner wären da", sagt Serkan Michael Wels.

Die Gruppe ist im vergangenen Jahr eng zusammengewachsen. Amelie von Leliwa bleibt dem Arbeitskreis queer*human nun trotz eines Jobwechsels treu. "Ich habe Spaß daran und einfach Lust, für den Verband an diesen Themen weiterzuarbeiten", sagt die 24-Jährige. "Ich glaube, wir ergänzen uns innerhalb des Arbeitskreises einfach gut durch unsere verschiedenen Arbeitsbereiche, Erfahrungen und Ausbildungen."

Obschon sie sich alle für Regenbogen-Themen interessieren: Die Mitglieder des Arbeitskreises vertreten durchaus verschiedene Ansichten. Jede_r kann seine Themen in den Arbeitskreis einbringen. Die vorgesehenen zwei Stunden sind immer schnell vorbei. Über die Frage etwa, ob sie beim nächsten CSD Kondome verteilen sollten, wurde ausführlich diskutiert. Das Ergebnis: Es wird keine geben. Zum einen, weil Kondome keine Artikel sind, mit denen man leichtfertig umgehen sollte, zum anderen, weil sie in der queeren Community ein reiner Männerartikel sind.

Er sei durchaus schon gefragt worden, was der Arbeitskreis eigentlich noch wolle, wo es inzwischen doch sogar schon die Ehe für alle gebe, erzählt Serkan Michael Wels. "Das Thema Homophobie und Transphobie im Auge behalten zum Beispiel", antwortet der Erzieher darauf. Hier beobachte er einen gesellschaftlichen Rollback, der ihm Sorge bereite.

Homophobie und Transphobie im Auge behalten ist für Serkan Wels eine der Aufgaben des Arbeitskreises queer*human im Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg.
Foto: Konstantin Börner Homophobie und Transphobie im Auge behalten ist für Serkan Wels eine der Aufgaben des Arbeitskreises queer*human im Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg.

Dass sein Arbeitgeber sich immer wieder klar positioniert und öffentlich unmissverständlich deutlich macht, dass die sexuelle Orientierung seiner Mitarbeiter_innen keine Rolle spielt, macht für Wels etwas aus. "Ich habe mich auf meiner Arbeitsstätte nie geoutet", sagt er. Doch dass er auf Männer steht, wissen seine Kolleg_innen längst. Wels engagiert sich in diversen Initiativen für die LGBTTIQ*-Community. Der Vorschlag, dieses Engagement im Verband als Mitgliedsorganisation im Bündnis gegen Homophobie fortzuführen, kam aus dem Kollegium. "Daraus entstand schließlich der Arbeitskreis. Und mit der Regenbogenfahne an jedem Haus und durch diverse öffentliche Statements von Leitungskräften und Vorstand fühle ich mich hier schon sichtbar und unterstützt", so Wels.

"Für mich ist eigentlich gar nicht so sehr relevant, was der Arbeitgeber sagt. Viel wichtiger finde ich die Haltung der Kolleg_innen", meint dazu Amelie von Leliwa. Doch könne eine klare Positionierung des Arbeitgebers diese auch beeinflussen: "Für einen Verband, der regelmäßig klarmacht, dass er sexuelle Vielfalt begrüßt, wird jemand, der total homophob ist, kaum arbeiten", glaubt die Sozialarbeiterin. Dass sie "bi oder pan oder wie immer man das nennen möchte" ist, hat sie ebenfalls nie großartig thematisiert. "Aber ich glaube, bei mir wissen das eigentlich auch alle. Wenn man miteinander redet, kommt das Thema halt mal auf. Bei mir im Kollegium ist es jedenfalls für alle ganz normal und das finde ich schon ziemlich gut."

Verbandsintern möchten die queer*humans vor allem informieren und sensibilisieren. Etwa, indem sie in die Einrichtungen und Projekte hineingehen. Serkan Michael Wels: "Wir wollen unsere Kolleg_innen unterstützen. Bei der Arbeit mit Kindern zum Beispiel. Sexuelle Vielfalt steht auch im Berliner Bildungsprogramm! Es ist wichtig, schon den Jüngsten beizubringen, dass Vielfalt normal ist – nicht Heterosexualität." Außerdem möchten Wels und seine Mitstreiter_innen erfahren, wo es vielleicht auch Probleme gibt, Ängste nehmen, "zeigen, dass wir ganz normal sind".

Neue Mitarbeiter_innen – unabhängig von ihrer sexuellen Identität – sollen möglichst früh erfahren, dass es den Arbeitskreis queer*human gibt. Dafür habe sich auch der Vorstand ausgesprochen, berichtet Amelie von Leliwa. Ihr ganz persönlicher Wunsch für die Zukunft sei, "dass es eine_n offizielle_n, hauptamtliche_n Ansprechpartner_in im Verband gibt, der_die allen Angestellten bekannt ist und an den_die man sich mit Fragen, Problemen, Vorschlägen und Wünschen wenden kann", sagt sie. "Und ich will, dass es irgendwann kein Thema mehr ist, wen und wie jemand liebt. Aber ich glaube, dafür müssen wir erst darüber reden. Damit sexuelle Vielfalt selbstverständlich wird, muss sie in allen Köpfen sein. Damit sie in allen Köpfen ist, muss darüber geredet werden. Und dafür gibt es uns."

Dieser Text ist im Geschäftsbericht 2017 des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg erschienen.