"Es gibt Dinge, die will man sich nicht vorstellen.
Dass das eigene Kind schwer krank wird oder gar vor einem stirbt am allerwenigsten.
Mein Beruf als Schauspieler verlangt von mir mitunter, mich in extreme Situationen und Gefühlslagen zu versetzen. Hier würde ich zögern.
Der Schrecken, der in dieser Vorstellung lauert, ist so groß, dass man sich impulsiv abwendet, weil schon das Hinschauen als eine zu große Annäherung an das Unglück empfunden wird.
Ist das vielleicht Angst, dass nicht die Krankheit, wohl aber das Unglück ansteckend sei?
[...] Hier sind Menschen, die nicht die Wahl hatten, sich Abzuwenden. Sondern sich der Prüfung, ein schwerstkrankes Kind zu haben, stellen mussten. Niemand hat sie gefragt, ob sie sich dem gewachsen fühlen.
Während deren Erzählungen, dachte ich, dass auch nur sie wirklich berechtigt sind, davon zu berichten. Weil es Dinge gibt, die erlebt man oder eben auch nicht, dazwischen gibt es nichts. Man kann und sollte nicht so tun als sei das anders. Aber Zuhören ist möglich, praktische Hilfe, Anteilnehmen, was ja etwas anderes bedeutet als Identifiktaktion. Sollte der Satz, dass Mut nicht die Abwesenheit von Angst, sondern deren Überwindung sei, eine Berechtigung haben, dann hier.
Manchmal packt einen [..] die Wut: Warum müssen sie die Betroffenen auch noch mit Ausgrenzung und Behördenschwachsinn auseinandersetzen? Mit dem Zerfall der Familie, die der Isolation, in die sie durch die Erkrankung gerät, oft nicht standhält. Es sagt etwas über unsere Gesellschaft aus, dass sie damit meistens allein gelassen werden. Aber eben auch, dass es Menschen gibt, die das nicht tun.
Womit wir bei denen sind, die zwar die Möglichkeit hätten, sich abzuwenden, es aber nicht wollen, bei den Helfern vom Berliner Herz zum Beispiel. [...] Man kann deren Arbeit, von der sie kein großes Aufhebens machen, nur bewundern. Manchmal ahnt man, dass das so selbstverständliche, wie es meist wirkt, nicht sein kann. Wenn etwa von der Schwierigkeit berichtet wird, zu viel zu geben, nicht die nötige Distanz wahren zu können, um das fremde Schicksal nicht mit dem eigenen zu verwechseln.
Nicht viele von uns sind für diese konkret Art der Hilfe geeignet. Wir anderen sollten uns zumindest nicht abwenden, uns nicht verschließen, und mit unseren Mitteln, sei es mit einer Spende, zeigen, dass wir Anteil nehmen. Das ist schon eine Menge.
In einer Zeit, in der wieder einige meinen, über die Ausgrenzung vermeintliche Schwächerer ihr wackeliges Ego aufpolieren zu können, machen mir die Menschen vom Berliner Herz mit ihrer Zugewandheit Mut. Die Begegnungen mit Christiane Edler und den Familienhelfern haben mir sehr viel gegeben.
Sie sind, so könnte man es auch sagen, die Guten."
Matthias Brandt, 2017
Vorwort zu "Herzensangelegenheiten: Geschichten aus dem Berliner Herz" von Anne Edler-Scherpe
Wir danken unseren Schirmherr*innen für ihr Engagement und ihre Zeit!
Inka Bause
Matthias Brandt
Hans Brückner
Christiane Edler
Julia Jäger
Eva Mattes
Volker Wieprecht