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  • kazan.vperemen.com via wikimedia commons (CC BY-SA 4.0)
    kazan.vperemen.com via wikimedia commons (CC BY-SA 4.0)

"Eine Schande für unsere Gesellschaft"

Katrin Schwabow vom Humanistischen Verband begrüßt die Stellungnahme der Sozialsenatorin Elke Breitenbach, die tatsächlichen Herausforderungen der zunehmenden Obdachlosigkeit anzugehen. Statt Parks zu räumen, sollten Senat und Bezirke dringend weitere Übernachtungsplätze schaffen. Außerdem fordert sie mehr Sozialarbeiter_innen in der Obdachlosenhilfe, um den konkreten Problemlagen besser nachzukommen.

"Grünanlagen werden geräumt, eine Task Force gegründet und die Polizei soll stärker kontrollieren – die Initiativen, mit denen Senat und Bezirke die zunehmende Obdachlosigkeit in den Griff bekommen wollen, sind Ausdruck der faktischen Hilflosigkeit der Akteure, nachdem man jahrelang die kaum haltbaren Umstände ignoriert hat", kommentiert Katrin Schwabow, zuständig für die Wohnunterstützung und Wohnungslosenhilfe beim Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg (HVD). "Darüber hinaus hat man den Eindruck, dass so manche Initiative vom gesellschaftlichen Rechtsruck beeinflusst ist."

"Das wilde Campieren in Parkanlagen macht vor allem deutlich, dass dringend mehr Schlafplätze für Wohnungslose benötigt werden", sagt Schwabow mit Blick auf die anstehende Kälteperiode. Diese beginnt am 1. November, der Berliner Senat stellt in der Zeit bis Ende März insgesamt etwa 1.000 beheizte Schlafplätze zur Verfügung. Der Leiter der Bahnhofsmission Dieter Puhl schätzt die Gesamtzahl der Wohnungslosen in Berlin auf 5.000 bis 10.000. Katrin Schwabow: "Bei diesen Zahlen wird deutlich, wo akuter Handlungsbedarf besteht. Selbst wenn aktuell nur 5.000 Menschen in Berlin kein Dach über dem Kopf haben, sind 4.000 von ihnen gezwungen, vor U-Bahn-Stationen, unter Brücken oder in Hauseingängen zu übernachten. Dieser Zustand ist unhaltbar und eine Schande für unsere Gesellschaft."

Entscheidend sei nun eine gesamtstädtische Steuerung der Unterbringung von Wohnungs- und Obdachlosen, die auch den unterschiedlichen Bedarfen gerecht werde. So bedürfe es geschlechterspezifischer und problemlagenorientierter sowie gegebenenfalls auch kulturorientierter Lösungen für die Unterbringung von Wohnungslosen, meint Schwabow. Die Expertin für Wohnungslosenhilfe des HVD fordert dringende Investitionen in die Infrastruktur der Obdachlosen- und Kältehilfe. Durch Parkräumungen und organisierte Rückführungen werde das Problem der steigenden Wohnungsnot in Berlin nicht gelöst. "Es braucht dringend mehr Sozialarbeiter_innen in der Obdachlosenhilfe, die auf die Menschen zugehen, Problemlagen wie psychische Erkrankungen, Alkohol- oder Drogenabhängigkeit sowie Prostitution frühzeitig erkennen und Lösungen suchen. Darüber hinaus ist eine nachhaltige Einbettung der niedrigschwelligen Wohnungslosenhilfe notwendig, um tragende Lösungen für die Menschen in Not zu finden."

Für die Entwicklung einer gesamtstädtischen Strategie fordert Schwabow ferner eine stärkere Einbindung der Träger der freien Wohlfahrtshilfe, die tagtäglich in ihren Einrichtungen und Anlaufstellen mit Wohnungslosen arbeiten, deren Probleme kennen und mit den verschiedenen Herausforderungen ihrer Lösung vertraut sind. Sie erinnert in der Debatte auch an das Grundgesetz. Nicht umsonst beginne es mit den Sätzen: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt." Auch Obdachlose besitzen dieses Grundrecht. "Ich kann momentan nicht erkennen, dass die Träger staatlicher Gewalt hier alle Möglichkeiten ausschöpfen, um dem Schutzauftrag von Artikel 1 Grundgesetz nachzukommen", macht Schwabow deutlich.

 

Titelfoto: kazan.vperemen.com via wikimedia commons (CC BY-SA 4.0)